
Werbung 4. Adventskalendergeschichte 2021 Türchen 24
Adventskalendergeschichte
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Hey, Hallo und schön, dass Ihr da seid.
Es ist so weit, unsere Geschichte geht hier zu Ende, aber im neuen Jahr gibt es bestimmt wieder eine.
Das heutige Türchen 24.12.2021 kommt von Autorin Gaby Strittmatter-Seitz
Türchen 24
Verwirrt schrecke ich hoch. Zeit? Ich habe überhaupt keine Zeit mehr! Mein Stuhl kracht hinter mir an die Wand und die Tasse landet klirrend auf dem Boden.
„Michaela!“
Aber da steht sie noch und starrt nachdenklich in den Himmel.
„Heute ist Heiligabend! Unser Stück!“ Panisch zerre ich an ihrem Arm.
„Bitte rufe sie alle, Karin, Marion, den Helga-Grinch, die jungen Leute aus der Straße, Frau Jansen aus der Seniorenresidenz und den Regisseur … sie brauchen ihre Texte! Aber wo spielen wir überhaupt?“
„Susanne, es ist Weihnachten. Was eignet sich wohl besser als die Kirche?“
Richtig, die Kirche. Erleichtert nicke ich. Wie immer beruhigt ihre Umsicht mich sofort.
„Ich gehe ins Café und bereite Zimtschnecken und Vanilleplätzchen vor. Alle werden da sein, keine Angst.“ Sie zieht ihre Mütze in die Stirn und stapft fröhlich davon.
Hastig suche ich meine Blätter zusammen und stürme ebenfalls los. Dicke Flocken setzen sich auf meine Brillengläser und verwässern mir die Sicht, doch mit jedem Schritt sehe ich klarer. Das Stück wird drei Akte haben, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Weihnachten – Abschluss eines Zyklus und zugleich Aufbruch in einen neuen. Ein Ende bedeutet auch immer einen neuen Anfang. Tief in Gedanken betrete ich die Kirche und bleibe überrascht stehen.
Wohlige Wärme umfängt mich, unzählige Kerzen flackern an dem buntgeschmückten hohen Baum, ein intensiver Waldgeruch steigt in meine Nase und glänzende Augenpaare richten sich erwartungsvoll auf mich. Eine Aura der Vorfreude schwebt über den Bänken, nur der Regisseur in seinem roten Mäntelchen knurrt: „Na endlich, das wurde aber auch Zeit!“
„Michaela, wie hast du das alles nur so schnell hinbekommen?“
„Es ist doch Weihnachten“, sie lächelt verschmitzt. „Magie!“
Zögernd übergebe ich dem Regisseur mein Manuskript. Brauchen wir ihn überhaupt? Doch hat er mir den Rubin geschenkt, den Stein, der mich zu Ilse führte. Wo sie jetzt wohl ist?
Plötzlich sehe ich das kleine Mädchen, es sitzt hinter einer riesigen Harfe.
„Du kannst sie spielen?“
Die Kleine lächelt nur und legt ihre Finger auf die Saiten.
Und dann dreht sich die Welt um mich, kehrt das Unterste zuoberst. All die aufwühlenden Ereignisse der vergangenen Tage stürmen auf mich ein. Wenn noch etwas zu dem Stück, das wir alle zusammen an diesem Abend aufführen wollen, gefehlt hat, dann sind es diese Töne.
Sphärische Klänge voller Magie, deren Zauber sich wie Samt auf meine Seele legt. Ich blicke in all die leuchtenden Augen um mich herum und dann verstehe ich. Wir brauchen kein Manuskript, die Antworten auf all unsere Fragen sind in uns, die Vergangenheit, die uns manchmal quälte und die wir nicht mehr ändern können, die Gegenwart, der Moment in dieser warmen Kirche, in dem wir einander so nahe sind und die Zukunft, in der wir manches besser machen, dieses Gefühl bewahren wollen.
Freude steigt in mir hoch und sie spiegelt sich in den Gesichtern meiner Freunde, selbst den knurrigen Regisseur scheint die ungewohnte Atmosphäre zu berühren.
Weihnachten! Oh, du zauberhafte Zeit. Niemals sind wir einander so verbunden wie in diesen Tagen, trotzen wir Stress, Hektik und Kommerz. Und niemals wünschen wir uns wahrhaftiger, dass dieser glückselige Zustand anhalten möge. Wenigstens noch eine kleine Weile.
Genau dies wollte ich mit meinem Stück ausdrücken, aber ein Drehbuch ist völlig überflüssig. Die Harfe, von dem kleinen Mädchen so zart und doch so gewaltig gespielt, sagt uns, was wir wissen müssen: Wir sind nicht allein, wenn wir das nicht wollen.
Alle, die mir so liebevoll zulächeln, Michaela, Karin, Marion, die pelzige Helga, Frau Jansen, Stella, die 24 jungen Leute aus der Straße, der Regisseur, der jetzt schulterzuckend meine Blätter in seinen Taschen verschwinden lässt, und ich. Wir haben verstanden, die Erkenntnis ist da, klar und deutlich. Sie steht in unseren Gesichtern, vermischt sich mit dem Duft nach Wald, Bienenwachs und Zimt und steigt mit den perlenden Tönen der Harfe hinauf unter das hohe Kirchengewölbe.
Und dort sehe ich sie. Ilse. Sie schaut mich lange an und dann nickt sie.
Ich bin stolz auf euch.
Ich halte den Atem an. Hat sie das wirklich gesagt? Wie ist das möglich?
„Es ist Weihnachten“, lächelt Michaela. „Magie.“
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