Adventskalendergeschichte
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Werbung 4. Adventskalendergeschichte 2021 Türchen 10

 

Adventskalendergeschichte

 

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Hey, Hallo und schön, dass Ihr da seid.

 

Wir nähern uns dem Halbfinale. Heute sind wir bei Türchen 10 angekommen.
Das heutige Türchen 10.12.2021 kommt von Autor Henry Wimmer

 

Türchen 10
Ich kniff mir in meinen Arm.
Dabei schloss ich meine Augen. Darauf hoffend, dass die Person, die ich bei meinem Eintreten gesehen hatte, sich als ein Streich meiner überreizten Nerven entpuppte. Doch als ich meine Augen erneut öffnete, sah ich immer noch diese alte Dame vor mir. Tränen liefen ihr über das Gesicht. Zahllose Falten kündeten von einem langen Leben. Aber auch jetzt waren unter den Falten des Kummers immer noch diejenigen zu erkennen, die davon kündeten, wie gerne diese Frau gelacht hatte. Und dies immer noch tat.
„Ilse?“
Obwohl ich wusste, wie überflüssig diese Frage anmuten mochte, konnte ich es mir nicht verkneifen, sie zu stellen. Die alte Dame war mit einem langen warmen Rock gekleidet. Darüber eine Bluse und eine grüne Weste. Warum nur verfolgte mich diese grüne Farbe derzeit? Obwohl sie doch gar nicht zu meinen Lieblingsfarben zählte.
„Wie …“, ich stockte kurz. „Wie kommst du hierher? Ich bin …“
Verwirrt brach ich ab, um mich zu sammeln. Mit allem hätte ich gerechnet. Nicht aber mit Ilse, und vor allem nicht mit der spontanen Gegenfrage, die sie mir stellte:
„Deine Frage ist nicht richtig formuliert. Eigentlich hätte sie lauten müssen, wie kommen wir hierher?“
Unsicher auf den Tisch zugehend, zog ich mir einen Stuhl heran, um mich darauf niederzulassen. Irgendwie begann mir die ganze Sache bereits jetzt über den Kopf zu wachsen. Eben war ich noch zu Hause. Und jetzt …?
Ich schaute an mir hinab. In meiner Wohlfühlkleidung saß ich nun auf diesem Stuhl. Eben noch auf der Couch, um mit der Ausarbeitung der Geschichte zu beginnen, hatte es mich an einen Ort verschlagen, den ich nicht einmal kannte. Und zwar nicht nur in meinen Träumen. Ich befand mich in dieser Hütte und saß Ilse gegenüber, die ebenso wie ich die Welt nicht mehr verstand.
Ganz kurz erschien dieser Kristall vor meinem geistigen Auge. War es etwa zu weit hergeholt, dass ich in einem Winkel meines Verstandes begann, ihn hierfür verantwortlich zu machen? Unabhängig davon stellte ich mir allerdings die bange Frage, wie ich von hier wieder fortkommen sollte. Von einem sicherlich wunderschön gelegenen Ort irgendwo im Nirgendwo.
Ich rieb mir meine Augen. Selbst diese sicherlich wichtige Frage würde warten müssen, bis ich vorrangig geklärt hatte, was Ilse so verzweifelt schluchzen ließ.
Als ich aufstand, um auf sie zuzugehen, stieg mir der Duft nach frischen Plätzchen in die Nase. Fast hätte man annehmen können, ich stünde neben Ilse, die gerade ein Blech mit Keksen aus ihrem Ofen zog.
„Woran kannst du dich als Letztes erinnern?“, fragte ich frei heraus.
Ilse schaute mich groß an. Dann zog sie ein großes geblümtes Taschentuch aus dem Ärmel ihrer Jacke. Sie schnäuzte sich ihre Nase. Dann wischte sie ihre Tränen fort. Endlich wurde ihr Blick etwas klarer. Und schließlich meinte ich sogar, eine Spur von Dankbarkeit darin wahrzunehmen. Vielleicht wegen des Umstandes, dass sie nicht mehr alleine war.
In diesen Gedanken hinein begann Ilse zu reden.
„Eben habe ich noch am Backofen unserer Gemeinschaftsküche gestanden, um das erste Blech voller Kekse aus dem Ofen zu ziehen. Schau hier …“
Dabei deutete sie auf den Tisch, auf dem mir erst jetzt zwei dicke Handschuhe auffielen, die ihre Hände vor der Hitze des Blechs hatten schützen sollen.
„Ich fühlte mich sehr unwohl. Und ich hoffte, über meine Lieblingsbeschäftigung zu vergessen, dass …“
Erneut brach sie in bittere Tränen aus.
„Was zu vergessen, Ilse?“
„Diesen Mann, der mich in meinem Zimmer aufsuchte. Er war so unfreundlich. Regelrecht grob. Ganz anders, als die Menschen, mit denen ich mich sonst so gerne umgeben habe. Ehe ich ein Wort verlieren konnte, herrschte er mich an. Auch ich würde begreifen, dass Weihnachten nur eine dumme Erfindung von uns Menschen sei. Jetzt, da ich an diesem Ort angekommen bin, sagte er, werde ich sehr schnell erkennen, dass ich mir Zeit meines Lebens nur etwas vorgemacht habe.“
Erneut schaute sie auf.
„Mein Kind, diese Worte haben mir sehr wehgetan. Ich weiß auch nicht, was er damit bezweckte. Denn als ich ihn danach fragen wollte, verschwand er, ohne eine Spur zu hinterlassen.“
Ich ging auf Ilse zu und schloss sie ganz fest in meine Arme.
Irgendwo war da ein Signal in mir, dass es einen ganz besonderen Grund gab, weshalb sie und ich an einem Ort am Ende der Welt aufeinandergetroffen waren. Ganz sicher hatte eine höhere Macht die Hände mit im Spiel, die für mich völlig unbegreiflich war. Aber ich würde herausfinden, was das zu bedeuten hatte.
Als ich mich von Ilse zurückzog, verblasste ihr Bild vor meinen Augen.
Ich fand mich in meinem Wohnzimmer wieder. Und der Kristall strahlte mich mit seinem warmen Licht an.
„Was hast du mir sagen wollen?“, flüsterte ich ihm ergriffen zu.

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